Kein Abschied von Leistungspunkten
Die gemeinsame Erklärung von KMK und HRK zur Europäischen Studienreform weicht das Leistungspunkte-System keineswegs auf. Das Kaffeesatzlesen der F.A.Z. vom 22. Juli 2016 verkennt längst bekannte hochschulische und akkreditierungsrelevante Regelungen und geht ins Leere.
Das Punktesystem sei das große Versprechen der Bologna-Reform gewesen, doch habe es sich inzwischen als untauglich erwiesen und werde nun „stillschweigend beerdigt“, wird in dem Feuilleton-Beitrag behauptet.
Dabei wird aber geflissentlich übersehen, dass seit 19 Jahren die Anerkennungsvorgabe in ganz Europa gemäß der „Lissabon Konvention“ genau nicht mehr auf quantitative, sondern qualitative Merkmale setzt – und dass Kultusminister und Hochschulrektoren ihre Hinweise mit dieser längst gesetzlichen Vorgabe begründen.
Lissabon Konvention: „wesentlicher Unterschied“
Die Lissabon Konvention forderte bereits 1997 die Abkehr von der vom Antragsteller (Hochschulwechsler) zu beweisenden „Gleichwertigkeit“ zugunsten von „wesentlichen Unterschieden“, die seitens der anerkennenden Hochschule zu prüfen und zu beweisen sind.
Keine Rolle aber spielt – seit 1997 – eine übereinstimmende Zahl von Leistungspunkten bei der Anerkennung von Leistungen beim Hochschul- oder Studiengangswechsel.
FIBAA Consult hat dazu in einem Arbeitspapier (2012) die ländergemeinsamen Strukturvorgaben als Akkreditierungsvorgabe zitiert. Dort geht es ebenfalls um „Lernergebnisse“, nicht Anzahlen von Leistungspunkten:
„Die wechselseitige Anerkennung von Modulen bei Hochschul- und Studiengangswechsel ist mit handhabbaren Regelungen in den Studien- und Prüfungsordnungen zu verankern und in der Akkreditierung zu bestätigen. Sie beruht auf der Qualität akkreditierter Studiengänge und der Leistungsfähigkeit staatlicher oder akkreditierter nicht staatlicher Hochschulen im Hinblick auf die erworbenen Kompetenzen der Studierenden (Lernergebnisse) entsprechend den Regelungen der Lissabon-Konvention (Art. III). Demzufolge ist die Anerkennung zu erteilen, sofern keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen bestehen (Art. V) (vgl. Ländergemeinsame Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen i.d.F.v. 4.2.2010, Anlage „Rahmenvorgaben für die Einführung von Leistungspunktsystemen und die Modularisierung von Studiengängen“, Standard 1.2 Anerkennung) .“
Entsprechende Umsetzungen: allerorten!
2010 hatte die Universität Hamburg ihre Handreichung ausgegeben, die in ihren Fallbeispielen 2 und 3 deutlich macht, dass LP keine Rolle spielen bei der Anerkennung, dass mehr als notwendig erworbene LP jedoch zusätzlich anerkannt werden an möglicher Stelle im Studienverlauf:
„Fallbeispiel 2: Ein anzuerkennendes Modul hat bei einem vergleichbaren Kompetenzerwerb weniger Leistungspunkte als in Ihrem Studiengang.
Lösungsansatz: Der Prüfungsausschuss erkennt das Modul als gleichwertig (mit der Leistungspunkteanzahl, die im jeweiligen Studiengang für das Modul vorgesehen ist) an.
Fallbeispiel 3: Das anzuerkennende Modul hat bei einem vergleichbaren Kompetenzerwerb mehr Leistungspunkte als in Ihrem Studiengang.
Lösungsansatz: Der Prüfungsausschuss erkennt das Modul als gleichwertig (mit der Leistungspunkteanzahl, die im jeweiligen Studiengang für das Modul vorgesehen ist) an. Leistungspunkte werden auf den ABK- Bereich angerechnet, sofern die erworbenen Kompetenzen dies ermöglichen bzw. es erfolgt eine Anrechnung im Wahlbereich.“
Diese Handreichung war seither wörtlich oder sinngemäß von diversen Hochschulen übernommen und mitunter auch publiziert worden.
Der Verfasser dieses Storify-Beitrags hatte die Hamburger Handreichung 2013 für seine Hochschule aufbereitet und sie wird seitdem dort erfolgreich vom Prüfungsausschuss umgesetzt. Auch wurde sie in anschließenden Programmakkreditierungen als richtig im Sinne der Lissabon Konvention bestätigt.
Auch an der Uni Bielefeld gilt Lissabon
Das „BPO-Studienmodell 2011“ (!) der Uni Bielefeld formulierte ebenfalls fernab von Leistungspunktvergleichen die Orientierung an den erworbenen Kompetenzen von Antragstellern – gemäß der Lissabon Konvention, die längst ins Bundesgesetz eingegangen war und auch in NRW inzwischen ins Landesgesetz:
„§ 20 Anerkennung von Studienzeiten und Leistungen
(1) Studienzeiten und bestandene, nicht bestandene oder erbrachte Leistungen (Studien- und Prüfungsleistungen), die in einem Hochschulprogramm erbracht wurden, werden anerkannt, sofern hinsichtlich der erworbenen Kompetenzen kein wesentlicher Unterschied zu den Leistungen besteht, die ersetzt werden; alle vorgenannten Leistungen werden im Transcript dokumentiert. Als Studienzeit ist jeder Bestandteil eines Hochschulprogramms anzusehen, der beurteilt und für den ein Nachweis ausgestellt wurde und der, obwohl er allein kein vollständiges Studienprogramm darstellt, einen erheblichen Erwerb von Kenntnissen oder Fähigkeiten mit sich bringt.“
Fazit
Der feuilletonistische Beitrag in der F.A.Z. vom 22. Juli 2016 erwähnt die Lissabon Konvention von 1997 erst gar nicht. Stattdessen bastelt er mit seinen Passagen, die Kultusminister und Hochschulrektoren hätten mit dieser gemeinsamen Erklärung das ECTS-Punkte-System faktisch aufgegeben, eine unhaltbare und unlogische Konstruktion:
„Für die Anerkennung einer Leistung soll es, so die Intention der Kultusminister, künftig völlig egal sein, ob ein Modul, ein Seminar oder eine Hausarbeit mit drei, acht oder fünfzehn ECTS-Punkten ausgewiesen ist.“ – Sorry, aber die Kultusminister hatten in ihrer Erklärung vom 15. Juli 2016 einfach nur auf das hingewiesen, was eh seit 1997 gilt - und seit vielen Jahren an vielen unserer Hochschulen längst Praxis ist.
PS:
Wäre in jenem Zeitungsbeitrag – wie eigentlich erwartbar – die Lissabon Konvention als Grundlage der gemeinsamen Erklärung von KMK und HRK aufgegriffen und erläutert worden, hätte sich dessen Publikation erübrigt, ebenso diese hier...